7. August 2008
Hoher Tenn
(gepostet im Bereich Berg)
| Wieder einmal perfekt: Kein Wölkchen zeigt sich am blauen Himmel. Und es ist warm auf 2100 Meter. Kurzärmlig ist angesagt. Nach einem sehr gutem Frühstück, wobei ein anständiges Marmeladeglas am Tisch steht und nicht so ein fuzikleines Plastikdoserl, brechen Toni und ich um 0645 auf. Gemütlich spazieren wir auf einfachem Weg nach Süden ins Ochsenkar ohne jedoch viel an Höhe zu gewinnen. Das hohe Gras links und rechts wurde kürzlich erst mit der Motorsense gestutzt. Beste Wegbetreuung. Respekt!
Aus geologischer Sicht dominiert im Gebiet der Kalkglimmerschiefer, ein für mich neues Mineral. Die Tour verspricht immer interessanter zu werden, gedeihen auf solchen Böden ja Pflanzenarten, die mir noch nicht "live" begegnet sind. Die Artenvielfalt ist wirklich beeindruckend. Unzählige /Scheuchzers-Glockenblumen (Campanula scheuchzeri) mit ihren dunkelvioletten Blüten säumen den Weg. Dazwischen immer wieder etliche Kostbarkeiten, die ich heute nicht bestimmen kann. Zu dicht ist der Zeitplan, wollen wir doch noch den letzten Bus am Mooserboden erreichen. Doch eine Begegnung scheint mir schon noch erwähnenswert. Auf einem südseitig exponierten Hang wachsen viele /Alpen-Astern (Aster alpinus). Der naturliebhabende Bergfex weiß: Wo diese Art wächst ist die Marketing-Blume der Alpen nicht weit. Tatsächlich gleich ums Eck schöne Bestände des /Edelweiß (Leontopodium nivale subsp. alpinus) im klassischen Wiesenstandort. Das Edelweiß ist ja keine Felsenpflanze, sondern wurde durch die vermutlich bevorstehende Ausrottung ja auf unzugängliche Felsvorsprünge verdrängt. Schade wenn man bedenkt, dass die Gefährdung erst mit der touristischen Erschließung der Alpen und mit der gewinnbringenden Vermarktung des Edelweiß als Symbol, begonnen hat. Kurz darauf, bei einer grabsteinähnlichen Wegmarkierung verharrt Toni und deutet auf die /Murmeltiere (Marmota marmota) in unmittelbarer Nähe. Langsam nähere ich mich, doch die Burschen haben mich bemerkt und flüchten. Ein Murmeltier jedoch flitzt auf Toni zu und verschwindet direkt vor seine Füßen in einem Erdloch. Flotte Viecher!
Vor dem Spitzbrettköpfl beginnt der anspruchsvolle Teil des Gleiwitzer Höhenwegs. Wir queren ein Schneefeld und gelangen in eine mit Trittstiften und Seilen gesicherte Rinne. Laut Literatur Klettersteigschwierigkeitsgrad B. Von der Unteren Jägerscharte folgen wir dem luftigen, aber bestens mit Stahlseilen versehenen, Grat zu einer Querung und hinauf in die Obere Jägerscharte (A). Linkerhand immer wieder schöne Bestände des Edelweiß. In der Scharte, mit widersprechenden Höhenangaben (Siehe Bild), legen wir eine erste Rast ein, bevor wir mit der Gratwanderung beginnen. Die geweitete Aussicht ist herrlich. Das Kitzsteinhorn zeigt sich heute mit scharfen Konturen und wolkenfrei. Während des langen Aufstiegs über den Nordgrat werden wir ständig von diesem Panorama begleitet. Unter uns zeugen letzte Reste des Brachkees von der ausklingenden Eiszeit. Doch der Anstieg ist sehr beschwerlich. Aus Erfahrung weiß ich ja, über 2500 Meter bricht meine körperliche Leistungsfähigkeit dramatisch ein. Wir nähern uns immer mehr der 3000 Meter Marke. Die Oberschenkel brennen und die Schrittlänge verkürzt sich. Auch Toni kämpft inzwischen ganz anständig. Das Traumwetter und die unbändige Motivation treibt uns weiter bis zum Kempsenkopf, wo sich das Blickfeld vollends weitet. Unglaublich. Mir fällt die Kinnlade bis zum Boden. Welch grandioser Ausblick auf die Glocknergruppe mit unzähligen Gipfeln jenseits der 3000. Der Großglockner wird von einem bizarrem Wolkenhauberl gekrönt. Riesige Gletscher fließen langsam zu Tal, schmelzen und sammeln sich in den bekannten Stauseen. In der Ferne glänzt noch die vergletscherte Fläche des Großvenediger. Toni kennt dieses Gebiet sehr gut und erklärt mit die Gipfel zwischen Wiesbachhorn und Kitzsteinhorn samt Aufsteigswege. Gegenüber befindet sich das Heinrich-Schwaiger-Haus bereits im Sonnenschein. Stundenlang könnte ich hier gaffen, doch der Großsteil der Tour liegt noch vor uns. Also legen wir wieder nur eine kurze Pause ein. Nach dem Aufstieg zum Bauernbrachkopf führt der Weg hinunter bis zu den Felsen des Kleinen Tenn. Der Weg ist zwar komplett aper, doch ab und zu liegt eine feine Grußschicht auf den sonst so griffigen Felsen, wodurch die Schritte wohl überlegt platziert werden müssen.
Hier über 3000 Meter beginnt ja die (sub)nivale Zone, wo die Niederschläge vorwiegend als Schnee niedergehen. Sehr überschaubar ist die Pflanzenvielfalt am Grat. Gerade Zwei Pflanzenarten kann ich identifizieren. Der /Rudolph-Steinbrech (Saxifraga rudolphiana) ziert mit seinen roten Blüten und dichten Polstern den Grat. Eine zweite Steinbrechart kann ich nicht bestimmen, dürfte aber ebenfalls aus der Verwandschaft des /Gegenblättrigen Steinbrechs (Saxifraga oppositifolia) stammen. Vielleicht ein Hybrid mit dem /Zweiblüten-Steinbrech (Saxifraga biflora). Mal sehen. Auch die Geologie ist sehr lässig. Immer wieder ziehen sich meterlange, aber kaum einen Zentimeter breite, Quarzadern durch den Fels. Zusätzlich tritt nun grünlicher /Serpentinit auf, der teilweise ganz weich ist und mit den Fingern zerfastert werden kann. Vermutlich eine Art /Chrysotil. Aber es gibt auch härtere grün schimmernde Steine. Verflixt, ich kenne mich mit Geologie einfach nicht richtig aus.
Der Aufschwung zum Kleinen Tenn ist noch einmal Klettersteiggelände im Schwierigkeitsgrad B/C. Wir entscheiden uns die Rucksäcke am Fuß des markanten Felsen zu lassen um leichter klettern zu können. Praktisch, den wir müssen uns durch einen engen Spalt zwängen, wo der Rucksack nur gestört hätte. Die C Stelle ist dann leicht überhängend aber reichlich mit Stiften versehen. Trotzdem ist so eine hochalpine Kraxlerei eine gänzlich andere Herausforderung als etwa der Mein Land-Dein Land Klettersteig, der immerhin mit D klassifiziert wird. Die Kraxlerei absolviert, erreichen wir wieder Gehgelände. Doch gehen ist in dieser Höhe relativ: Häufig müssen wir verschnaufen. Mangelndes Höhentraining macht sich hier sofort bemerkbar. Am aperen Grat beschließen wir das Kreuz bei der Schneespitze nicht zu besuchen und queren gleich rechts in die Einschartung des Hohen Tenn. Der luftige Grat ist nicht versichert und die Blockkletterei führt bis zum II Schwierigkeitsgrat. Das Ziel ist nahe, doch das Gelände wird für uns recht anspruchsvoll. Auch die Erschöpfung dürfen wir nicht unterschätzen. Toni überlegt noch ein Zeiterl, findet aber dann eine Passage die für ihn gangbar ist. Nach etwas mehr als 4h30min erreichen wir den Gipfel mit rudimentärem Gipfelkreuz. Groß ist die Freude und wir beglückwünschen uns zur Besteigung des Hohen Tenn. Auf dieser Höhe fühlt man sich schon etwas "über den Dingen". Das Panorama ist hier oben selbstverständlich noch einmal um etliches besser, als würde es eine Steigerung ohne Ende geben. Nach Norden zeigt sich nun der Zellersee. Hochkönig und Watzmann sind auszumachen. Östlich zieht sich tief unter uns die Glockner- Hochalpenstraße hinauf. Während der Rast sind die Strapazen rasch vergessen. Tiefe Zufriedenheit stellt sich ein. Der Gipfel ist auf jeden Fall eine einsame Variante in der Glocknergruppe. Wir rätseln wie viele Menschen sich heute wohl am Großvenediger tummeln? 500? Wir jedoch können ein stressfreies Gipfelerlebnis genießen.
Kurz nach Mittag beginnen wir wieder mit dem Abstieg, der recht zügig klappt. Nach der C Stelle am Kleinen Tenn ist dann auch der technisch schwierigste Teil absolviert. Dafür fordert der Gegenanstieg noch einmal die letzten Reserven. "Ich will eigentlich nicht mehr", denk ich mir. Toni geht's genauso. Auch haben wir uns auf einer Graterhebung etwas zu früh gefreut. Noch einmal geht's hinunter und die Höhenmeter müssen zurückerobert werden. Endlich treffen wir bei der Wegabzweigung am Kempsenkopf ein. So aber jetzt heißt es: Batterie leer.
Der recht schottrige und ausgewaschene Weg ist nicht sonderlich toll, aber sehr aussichtsreich. Kurz erklärt mir Toni den Aufstiegsweg zum Großen Wiesbachhorn und ist selbst ganz erstaunt, dass der Kaindlgrat ausgeapert ist. In ein paar Jahren wird man wohl überhaupt keine Steigeisen für die Besteigung im Hochsommer benötigen. 1000 Meter unter uns sehen wir auch schon unser Ziel. Den Stausee Mooserboden. Heilfroh bin ich, als wir wieder Wiesengelände erreichen und bei einem markanten Markierungspfosten eine Pause einlegen. Der Wegverlauf hier ist durch das hohe Gras nicht immer sofort ersichtlich und die Markierung schon recht verwittert. Wir passieren einen Wasserkanal der die Fluten des Gletscherbachs sammelt und in den Stausee leitet und erreichen nach 8h40min endlich die Dammkrone. Es ist gerade noch Zeit für ein erfrischendes Bier, bevor wir den Bus um 1600 erwischen (der letzte fährt um 1700). Die 10 Euro investiere ich gerne. Noch einmal 1000 Höhenmeter absteigen wäre jetzt nicht so toll. Der Schrägaufzug ist ja auch eine Attraktion für sich. Nach etwas mehr als 1km Fußmarsch erreichen wir wieder den Ausgangspunkt.
Conclusio: Wunderschöne und anspruchsvolle Hochtour bei exzellentem Wetter. Wie auch letztes Jahr hat Toni die Route für unsere Verhältnisse optimal zusammengestellt. Das Gebiet der Glocknergruppe ist ja eine vergletscherte Traumlandschaft, die bald wieder besucht werden will. Doch es war auch die anstrengendste Tour meiner kurzen Bergfexing-Karriere. Rund 3000 Höhenmeter im Aufstieg und etwa 13h30min Gehzeit mit sehr kurzen Pausen sprechen für sich. Die nächsten Pläne sind bereits geschmiedet. Sofern wir eine gute Seilschaft zusammenstellen können werden wir eine Runde über das Wiesbachhorn und Bratschenkopf unternehmen.
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Kommentare
lama schrieb am 08.08.2008 um 21:11
Gratuliere euch zu dieser Spitzentour, ihr Teufelskerle - Respekt!!! Sehr schöner Bericht Harry!
Der Bilokalität nicht fähig, konnte ich euch leider nicht begleiten + könnte mich in den A... beißen.
Auch mich faszinieren in dieser Gegend immer die interessante Geologie, sowie die vielfältige Flora und Fauna. Wie du richtig schreibst, bleibt bei derartigen Touren leider viel zu wenig Zeit, diese ganzen Eindrücke zu genießen.
lG
Martin
Toni schrieb am 11.08.2008 um 09:15
Hallo Harry!
Vielen Dank für das treffende Zusammenfassen der Eindrücke, die wir gewinnen konnten. War echt eine super Tour mit dir, Fortsetzung bei nächster Gelegenheit ist auf jeden Fall angesagt!
LG, Toni
mk schrieb am 13.08.2008 um 20:57
Servus, Harry,
schöne Tour! Mir hat die Zusammenstellung der alpinistischen und botanischen Erlebnisse gut gefallen.
Gruß aus Würzburg
Marco
spiemojan schrieb am 21.08.2008 um 22:52
Hallo,
bin zufälltig auf diese HP gestossen.
Bin baff erstaunt, wie toll dieses Bergerlebnis berichtet wurde. Es macht richtig Lust, ebenfalls auf die Berge zu kraxeln.
Ich war vor Jahrzehnten in dieser Gegend und kann mir anhand des Berichts, auch sehr lebhaft die erzählten Bilder vorstellen.
Super, und danke für diese wunderschöne HP
Spiemojan
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