| Kurze Wetterkontrolle um 0400 vor der Hütte. Zuerst sehe ich überhaupt nichts, doch nach dem sich meine Augen adaptiert haben, erkenne ich die ersten Sterne. Prima. Somit steht zumindest der Besteigung des Wiesbachhorns nichts mehr im Wege. Zufrieden kuschle ich mich noch ins Bett, schlafe noch ein wenig bevor wir um 0600 frühstücken und dann kurz vor 0700 aufbrechen. In Richtung Großglockner zeigt sich noch dichte Bewölkung. Über Zell am See ist es jedoch schon wolkenlos.
Rund 700 Höhenmeter sind zum Gipfel des Wiesbachhorns zu überwinden. Klingt wenig. Ist es auch. Es sollte jedoch nicht die Höhe unterschätzt werden und wenn die Gletscherausrüstung noch dabei ist, wird der Aufstieg doch recht anstrengend. Kurz nach der Hütte führt der Weg durch eine steile Rinne, die perfekt mit einem relativ neuen Stahlseil versehen ist. Toni meint nur: "Wenn's für die Hittn blos sovü Geld ausgeben würden, wie für die Sicherungen". Obwohl Felsen und Metall noch kalt und nass sind, steigen wir problemlos auf. Griffig sind die Felsen, im Gegensatz zu dem restlichen Schutthaufen der noch folgend wird. Hinterer Bratschenkopf und Klockerin werden bereits von der Morgensonne beleuchtet, wir sind jedoch noch im Schatten unterwegs. Ich erwähne ja gerne scherzhaft, dass Bergfexing Harry solarbetrieben ist. So freue ich mich schon unheimlich auf die ersten Sonnentrahlen.
Rasch erreichen wir den weltberühmten Kaindlgrat, diese zigtausendmal fotografierte Firnschneide mit rund 35° Neigung. Nun Anfang September ist nicht mehr viel übrig von der weißen Pracht. Der eigentliche Gratverlauf ist bis auf ein letztes Stückchen komplett aper. Dieser letzte Abschnitt wird von vielen, wie auch Rudi, ohne Steigeisen begangen. Toni legt dann die Eisen etwa in der Mitte an. Die Neuschneeschicht ist kaum fünf Zentimeter dick. Darunter verbirgt sich Blankeis, was für mich die Entscheidung leicht macht. Lieber 2 Minuten für das anlegen der Steigeisen benötigen, als in die große Spalte unterhalb plumpsen und als nächster Ötzi enden. Meine Zeiten in denen ich gefährliche Passagen ungesichert gequert habe, sind seit kurzem vorbei. Nach dieser Passage verlaufen Steigspuren und verschiedene Wegerl kreuz und quer im Felsschutt. Rudi und Toni wählen die Dirritissima. Ich folge einem Linzer mehr nach Osten, wo der Weg ergonomischer verläuft. Konditionell fühle ich mich heute, trotz schwereren Gepäcks, wesentlich besser als gestern. Die Leistung stimmt, aber in 3200 Meter Höhe verkürzt sich automatisch die Schrittlänge und alle 30 Höhenmeter muss ich kurz verschnaufen. Kräftiger Wind zwingt mich Haube, Handschuhe und Goretex auszupacken. Letztere flattert ganz schön heftig im Wind. 50 Meter über mir steigt Toni auf. Eine Verständigung ist nicht mehr möglich. Alle Geräusche werden vom Winde verweht. Endlich enden diese lästigen Geröllpassagen, die wirklich mühsam sind, und ich erreiche kompakten Fels. Naja, so kompakt Kalkglimmerschiefer halt sein kann…. Seltsamerweise fallen mir die Schritte nun wesentlich leichter. Ich fühle mich sogar wieder kräftiger, was vielleicht auch mit dem bereits sichtbaren Gipfelkreuz zusammenhängt. Nach etwas mehr als 2h Aufstieg erreiche ich das gut besuchte Gipfelkreuz, wo auch Rudi und Toni schon eingetrudelt sind. Mit einem kräftigen Händedruck beglückwünschen wir uns zur Besteigung des Großen Wiesbachhorns. Das übliche Hochgefühl bei einer Tour auf einen anständigen 3000er, wie etwa am Hohen Tenn, stellt sich jedoch nicht ein. Ich fühle hohl und emotionslos. Der Geröllanstieg hat mir ja überhaupt nicht gefallen. Die Aussicht ist zwar nicht schlecht, aber kein Vergleich zu gestern. Viel zu hohe Luftfeuchtigkeit verhindert den Blick zum Großvenediger. Ein Müsliriegel später, bessert sich meine Stimmung und auf den Gipfelfotos ist mir sogar ein Grinser zu entlocken ;)
Kurz ist die Gipfelpause. Ein dichtes Gipfelprogramm treibt uns hinunter in Richtung Wielingerscharte. Den Rand des Gletschers erreichen wir unglaublich schnell. Hier diskutieren wir ob wir uns anseilen sollen. Sicherlich wäre auch ohne Seilschaft eine Querung möglich, aber wir entscheiden uns für die sichere Variante. Und wozu schleppen wir (eigentlich Rudi) den 50 Meter Seil rum? Flott sind Steigeisen und Hüftgurt montiert, das Seil mit Achterknoten versehen, Pickel ausgepackt und los geht's. Kaum 10 Minuten später sind wir auch schon am Geröllabhang des Hinteren Bratschenkopfes. Die Ausrüstung wieder im Rucksack verstaut, beginnen wir sogleich mit dem mühsamen Anstieg zum Gipfel. Die Verhältnisse sind hier recht schlecht. Massig Geröll und feiner Felsgrus, der die Korngröße von Sand aufweist. Ich komme mir vor als würde ich eine hochalpine Sanddüne hinauflaufen. Zwei Schritte nach vor, einer zurück. In Gratnähe besseren sich die Verhältnisse etwas. Auch wenn der Fels relativ griff- und trittarm ist, gefallen mir solche Bedingungen sehr viel mehr. Ich riskiere den ein oder anderen Blick über die Westwand des Bratschenkopfes. Etwas mulmig wird mir dabei schon, obwohl ich schwindelfrei bin. Der Aufstieg ist unglaublich anstrengend. Obskure Gedanken kreisen in meinem Kopf. Wohl ein Zeichen der körperlichen Erschöpfung. Als wir den Gipfel erreichen, bin ich heilfroh endlich eine Pause einzulegen. Erstaunlicherweise regeneriere ich mich recht rasch und erfrischend klare Gedanken nehmen ihren angestammten Platz ein.
Die Klockerin wäre unser nächstes Ziel. Hmmm recht begeistert bin ich ja nicht. Dicht ist unser Zeitplan, da wir ja die letzte Talfahrt um 1645 erreichen müssen. Toni schafft es mich umzustimmen: "Des is nimma weit. Und nu amoi kraxlen wir auf den Bratschenkopf sicher nicht mehr." Ok, ich bin dabei. Wir deponieren unser Gepäck am Gipfel und steigen hinab zum Gletscherrand. Plötzlich rutscht Rudi einige Meter ab, kann seinen Sturz jedoch mit dem Pickel abfangen. Puh noch mal gut gegangen. Da ich die Steigeisen bereits am Gipfel montiert habe, bringe ich Rudi seine Eisen hinab, da er ja mitten im harten Eisfeld steht. Gekonnt bilden wir wieder eine Seilschaft und marschieren hinauf zum schneebedeckten Gipfel. Jedem ist die Anstrengung deutlich anzusehen. 10 Höhenmeter. Pause. Weitere 10 Höhenmeter. Pause. Die brutale Sonneneinstrahlung bei Windstille ist auch nicht gerade hilfreich. Ich glaube so ausgelaugt war ich überhaupt noch nie. Gegen 1200 befinden wir uns am höchsten Punk der Klockerin. Überglücklich klopfen wir uns auf die Schulter und wünschen uns ein anständiges "Berg Heil". Das große Wiesbachhorn zeigt sich von dieser Seite als außergewöhnlich formschöner Berg. Die Sicht hat sich etwas gebessert. Durch das Kapruner Törl ist sogar der Weißsee zu sehen.
Der Abstieg erfolgt angenehm flott. Dafür rächt sich der Gegenanstieg hinauf zum Bratschenkopf bitter, bitter böse. Die Grenzen der körperlichen Leistungsfähigkeit sind deutlich erreicht. Wohl wissend, dass dies der letzte Anstieg für heute ist, überwinden wir die restlichen Höhenmeter. Interessant ist hier die typische Bratschenbildung. Die Zacken der Steigeisen bohren sich tief in dieses lamellenartig geschichtete und sehr poröse Gestein. Der weitere Abstieg vom Bratschenkopf auf das Kaindlkees ist eine Rutschpartie für sich. Die felsigen Partien sind sehr unangenehm, die sandigen Passagen jedoch klappen, dank Ferseneinsatz, wunderbar. Glücklicherweise ist die Entfernung zum Kaindlgrat nicht besonders weit. Mein erschöpfter Verstand registriert diese Tatsache jedoch nicht mehr. Schaut nach 40 Minuten aus. Doch Toni hat die Sache richtig eingeschätzt. Trotz erneutem Anlegen der Gletscherausrüstung und Anseilen sind wir in kaum 10 Minuten am aperen Weg. Ein letztes Mal wird die Montur verstaut.
Wortkarg steigen wir zur Hütte ab, die wir flott erreichen. Jeder hat das Zeitlimit im Hinterkopf und ist ein bisschen gestresst. Auf der Höhe der Hütte blicke ich kurz auf die Uhr. 1420. Sehr gut. Zeit genug. Und das Wetter zeigt sich, entgegen der Prognose vom Küniglberg, von seiner besten Septemberseite. So kann ich während des Abstiegs zum Mooserboden noch ein paar blühende Pflanzen begutachten. Allesamt Vertreter die mir auch aus den heimischen Kalkalpen bekannt sind: /Fetthennen-Steinbrech (Saxifraga aizoides), /Kriechendes Gipskraut (Gypsophila repens), /Netz- (Salix reticulata) und /Stumpfblättrige Weide (Salix retusa).
Unter 2500 Meter kehrt auch die Kraft zurück. Die Luft ist hier spürbar sauerstoffreicher. Die Knie sind allerdings schon etwas beleidigt, wie ich es nach jedem langen Abstieg schon gewohnt bin. Gegen 1535 erreichen wir dann die Dammkrone und spazieren gut gelaunt zur Bushaltestelle, wo ich noch einen kurzen Sprint einlege um den Bus zu erwischen. Witzigerweise treffe ich im Bus auf Onkel Peter und Tante Sieglinde, die gerade in Kaprun Urlaub machen und heute den Grieskogel erwanderten. Zufälle gibt's…
Was soll ich zu dieser Tour noch sagen: Was für ein monumentaler Latscher. Die härteste Tour meiner Bergfexing Karriere. Sämtliche Eindrücke sind immer noch nicht verarbeitet. Eins kann ich aber schon sagen: Super wars. Aber auch extrem anstrengend. Toni und Rudi erwiesen sich als sehr gute Bergkameraden, wobei ich noch mal einen herzlichen Dank für's Seiltragen sage. Vielfältig waren die Einblicke in die Welt der Hochtouren. Ich wusste gar nicht zu welchen Leistungen ich überhaupt fähig bin. Die Glocknergruppe ist wahrlich ein Paradies aus Fels und Eis. Den Bratschenkopf werde ich aber sicherlich nicht mehr so schnell besuchen. So ein anstrengender Schotter/Sandhaufen. Sollte die Firnflanke (wie in der Beschreibung empfohlen) gangbar sein, ist der Aufstieg sicherlich lohnenswert. Auch hatten wir, abgesehen von einem kurzen Regenschauer, Glück mit dem Wetter. Für kommenden Sonntag werden ja Schneeflälle auf 1300 Meter vorhergesagt. Lust auf eine Schneeschuhtour?
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