| Wenn Harry am Vormittag brav für die Uni Zellbiologie strebert, hat er sich für den Nachmittag eine feine Exkursion ins Rannatal verdient. Eigentlich verschlägt es mich nur alle 10 Jahre mal ins Mühlviertel, aber dort existieren ein paar Platzerl mit botanischen Kostbarkeiten, die in den Kalkalpen fehlen. Insbesondere die Flechtenvegetation ist dort von besonderem Interesse. Die Spezialisten Berger und Türk haben diese Gebiet intensiv bearbeitet und erbrachten Nachweise für 382 Flechtenarten, was mehr als 40% der in Oberösterreich nachgewiesenen Arten entspricht. Aber auch bei den Gefäßpflanzen gibt's hier etliche Zuckerl. Sehr ursprüngliche, fast schon urwaldartige Blockwälder haben im Rannatal, aufgrund der fehlenden Holznutzung, überdauert. Dazu kommen besondere mikroklimatische Begebenheiten mit hoher Luftfeuchtigkeit und, am Talgrund, mit einigen Kälteinseln. Weiter oben gibt's im Gegensatz dazu sonnendurchgeglühte Felsfluren. Sowas macht natürlich neugierig.
Das ausgesprochen warme Septemberwetter hält an und ich starte um1315 bei angenehmen 24° C an der Rannamündung. Der Forstweg führt idyllisch über 13 Furten immer entlang der Rann bis zur Staumauer. Doch darf man sich von der schönen Landschaft und feschen Blütenpflanzen nicht täuschen lassen. Die Bachufer sind dicht mit dem /Drüsigen Springkraut (Impatiens glandulifera) bewachsen. Diese Pflanzenart ist bei uns eigentlich nicht heimisch, wurde sie ja erst 1839 von Kaschmir eingeführt und breitet sich seit dem unkontrolliert aus, wobei sie einheimische Pflanzen verdrängt. Das Drüsigen Springkraut kann hierbei sogar über die /Große Brennnessel (Urtica dioica) dominieren. Am Wegrand blüht auch der /Feinstrahl (Erigeron annuus), ebenfalls eine eingeschleppte Pflanze.
Ab und zu sind noch dichte, grauslige Fichtenmonokultur zu sehen, die aber rasch schönen Beständen der /Hainbuche (Carpinus betulus) weichen. Auf der glatten Rinde dieser Baumart, aber auch auf /Buche (Fagus sylvatica) und /Gemeine Esche (Fraxinus excelsior), wächst hier /Schriftflechte (Graphis scripta) deren runenartigen Fruchtkörper an eine Geheimschrift erinnern. Die Flechtenlager sind oft kaum wahrnehmbar, daher benötigt man einen Blick für die kleinen Dinge. Der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger hat dieser Art in seinem Gedicht "flechtenkunde" ja ein Denkmal gesetzt.
[...]die flechte beschreibt sich, schreibt sich ein, schreibt in verschlüsselter schrift ein weitschweifiges schweigen: graphis scripta.
sie ist der erde langsamstes telegramm, ein telegramm das nie ankommt: überall ist es schon da [...]
Etwas weiter befindet sich dann ein herrlicher Fichten-Blockwald mit Torfmoosen (meist Sphagnum quinquefarium). Diese gedeihen dort wo sich eine kühle, absonnige Nordlage mit Kaltluftaustritten am Fuß eines Blockstromes verbindet. Die Rotfärbung der Torfmoose ist schon eine Klasse für sich. Generell ist der Moosteppich außerordentlich dicht. Laut Literatur sind für diese absonnigen Blockmeere die über die Blockstimflächen hereinhängenden Girlanden von Lycopodium annotinum charakteristisch. Mehr noch die in der ständig taufeuchten und kühlen Umgebung üppig entwickelte zusammenhängende Moosdecke, bestehend aus Sphagnum nemoreum, Leucobryum glaucum, Bazzania trilobata, Polytrichum commune etc. Weiter oben ist die Blockhalde dann baumfrei und nicht mehr von Moosen bedeckt. Hier übernehmen Flechten übernehmen die Oberhand. Ganz auffällig sind die strahlend gelben Lager der Schwefelflechte (Chrysothrix chlorina), die als "wasserscheue" Art nur die regengeschützten Seitenflächen besiedelt. Aber auch einige Vertreter der Gattung Cladonia laufen mir hier über den Weg. Wirklich nett.
Retour am Weg finde ich noch ein außerordentlich hochwüchsiges Exemplar des /Bunten Hohlzahns (Galeopsis speciosa). Mit rund 50 cm ein wahrer Riese. Etwas nach der achten Furth erblicke ich linkerhand einen lockeren, dicht bemoosten Laubwald, in dem die Buche dominiert. Also verlasse ich den Forstweg und steige direkt im Wald bergan. Die etliche Spalten zwischen den Blöcken von Moosen verdeckt sind, ist die Sache gar nicht so ungefährlich. Aber es lohnt sich: Ein echtes Schwammerlparadies. Schöne Exemplare des /Parasolpilzes (Macrolepiota procera), mit rund 30 cm Hutdurchmesser, werden gesichtet. Sonst konnten noch der /Dickschalige Kartoffelbovist (Scleroderma citrinum) und der /Grünblättrige Schwefelkopf (Hypholoma fasciculare) bestimmt werden. Pilze sind ja auch so eine Gruppe von Lebewesen, bei denen ich nicht wirklich sattelfest bin.
Steil wandere ich aufwärts bis ich auf alte Ruinen stoße, die ganz offensichtlich zum Schloß Altenhof gehören, dass sich 10 Meter weiter oben befindet und schon 1204 urkundlich erwähnt wurde. Ich wandere auf schönen Wiesen/Waldwegen nun wieder nach Süden. Tief unter mir plätschert die Ranna dahin. Flott erreiche ich die Ruine Falkenstein, die heute leider abgesperrt ist. Die Überreste liegen aber wirklich wildromantisch in einem schönen Wald. Apropos schöner Wald: Ich folge dem Weg weiter nach Süden, wo sich ein für das Donautal typischer Geißklee-Eichenwald mit /Traubeneiche (Quercus petraea) und /Schwärzendem Geißklee (Cytisus nigricans) behauptet. Ich glaub ich mag das Rannatal. Hier verzahnt sich wirklich eine außergewöhnliche Vielfalt naturnaher Waldgesellschaften auf engstem Raum.
Nun noch ein Wort zum Naturschutz. Immer noch schlummern die Pläne dieses Tal in den Fluten eines Pumpspeicherkraftwerks zu ersäufen, in den Schubladen der Elektrizitätswirtschaft. Das Gebiet wurde zwar 2002 unter Naturschutz gestellt, dies aber nur befristet bis 2010. Eine Nominierung als Natura 2000 Gebiet wurde nachgereicht, aber ich glaub es erst, wenn's offiziell ausgewiesen ist. Auf der Landes Homepage findet sich ja kein Hinweis darauf. Auch via /Doris ist es nicht als EU oder FFH -Schutzgebiet ausgewiesen. Mal sehen was die Zukunft bringt. Auf jeden Fall ein lehrreicher Spielplatz für einen Öko-Studenten ;)
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